(Hier gibt es die Rede auch als PeerTube Video)
Auf dem Bundesparteitag der Grünen im November 2024 hat Robert Habeck nicht nur sich selber als Spitzenkandidat vorgestellt, sondern auch Grundsätzliches in seiner Rede angesprochen. Im obigen Ausschnitt geht es um eines der wesentlichen Themen und einen der grundsätzlichen Werte der Grünen: Freiheit – und wie diese eben vor allem auch Selbstbestimmtheit bedeutet. Ich finde das einen hervorragenden Anlass, um auf dieser Grundlage einmal über freies und selbstbestimmtes Leben im digitalen Zeitalter nachzudenken, das hier zwei altbekannte Aspekte der Freiheit wieder auf den Küchentisch bringt: Die Freiheit zu und die Freiheit von im Leben mit dem Internet.
Die Freiheit zu
Die Freiheit im Digitalen Dinge zu tun, wie jede:r sie sich vorstellt, ist heute bereits schon deutlich eingeschränkt. Windows PCs, Smartphones, MacBooks, Tablets, Smart TVs – Software und Hardware sind durch Nutzer:innen schon lange nicht mehr nach Belieben verwendbar. Der Login ist zwangsweise an eine Cloud von Microsoft, Google oder Apple gekoppelt, der Fernseher funktioniert nicht mehr offline und wenn der Hersteller keine Updates mehr liefert, sind Smartphone und Tablets im Zweifel offene Einfallstore für Kriminelle, die über Lücken im Betriebssystem ins Gerät einfallen. Auch wenn die EU beherzt gegen an reguliert, sind die Geräte und Computer schon lange nicht mehr unter unser vollständigen Kontrolle. Die eBooks, Filme und Musik sind nur noch „Abspiellizenzen“ und ein echter Kauf mit Besitzübergang findet nicht mehr statt. Kündigt man den Account, ist man sämtliche Inhalte sofort los.
Gleiches gilt leider auch für die Kommunikation, selbst innerhalb einer Partei wie den Grünen. Da wird auf Zoom gesetzt, Microsoft365 eingekauft und via Slack kommuniziert – und auf dem Parteitag 2024 wird dann bemängelt, dass die Lizenzkosten erheblich steigern würden. Tja.
Auch bei Social Media werden vor allem die Klassiker genutzt: X/Twitter, Facebook, Instagram, Threads und all die sozialen Netzwerke, die von einzelnen Milliardären und Oligarchen wie Elon Musk betrieben werden.
Das Alles ist das exakte Gegenteil von Freiheit. Es ist eine selbst gewählte Abhängigkeit, mit der Schritt für Schritt jeder Rest von digitaler Freiheit und Selbstbestimmung aufgegeben wird.
Dabei gibt es die Alternativen nicht nur, sie werden innerhalb der Grünen auch aktiv genutzt. So gibt es zum Beispiel den Verein der Netzbegrünung und die aus diesem Umfeld entstandene Genossenschaft Verdigado. Hier gibt es dann Dienste wie die Wolke (Nextcloud), die Chatbegrünung (RocketChat), Konferenz (Jitsi), aber auch einen Mastodon Server, Pixelfed und eine Peertube Instanz für Videos. Allerdings wird auch das alles in der Praxis von einer Minderheit der Mitglieder genutzt, während die Mehrheit bei WhatsApp oder Signal ist und selbst der Spitzenkandidat einen Account bei X wiedereröffnet, anstatt sich im Mastodon zumindest auch ein Konto anzulegen.
Ein echtes Leben dieser von Robert Habeck so gut erklärten Freiheit würde bedeuten, dass man nicht nur all diesen Tools eine Chance gibt, sondern dass man auch aktiv europäische und deutsche Lösungen unterstützt. Wir haben hierzulande und in Europa starke Anbieter von Open Source Software, von Clouds, von Linux Distributionen für PC und Server und vieles andere. Wenn man Freiheit und Selbstbestimmung als Aufgabe ernst nimmt, muss man auch als Partei konsequent sein. Dann muss man selbstbewusst auftreten und hier aktiv werden. In anderen Bereichen waren wir als Grüne auch schon immer vorne weg, wenn es darum ging das Richtige und nicht das Populäre zu tun.
Die Freiheit von
Ebenso wichtig ist aber auch die Freiheit von etwas, wie zum Beispiel von anlassloser Überwachung. Genauso habe wir es im Grundsatzprogramm aufgeschrieben:
„’Privacy by design‘, Transparenz und
effektiver Rechtsschutz sichern die Rechte der Bürger*innen. Anlasslose Massendatenspeicherungen wie auch unzulässige Eingriffe in die Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen untergraben umfassend Grundrechte und sind der falsche
politische Weg.“ (Grundsatzprogramm der Grünen, Seite 81)
Dazu passt dann leider nicht, dass die Bundestagsfraktion der Grünen in der Koalition mit SPD und FDP zum Beispiel für die Sammlung und Auswertung biometrischer Daten gestimmt hat. Im Gesetz zum Sicherheitspaket heißt es:
„Nachträglicher biometrischer Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet“
Das klingt erst einmal ganz harmlos. Es bedeutet aber, dass diese „öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet“ erst einmal gesammelt werden müssen. Wer je ein Bild von sich im Internet hochgeladen hat – sei es nach dem Sommerfest des Vereins, nach der Einschulungsfeier, nach dem Urlaub im Blog oder zum Beispiel auf einem Parteitag der Grünen! – muss jetzt damit rechnen, dass diese Bilder auf ewig in Datenbanken der Sicherheitsbehörden gespeichert bleiben für einen „biometrischen Abgleich“ in Zukunft. Jedes Bild, das jede:r Bürger:in von sich irgendwann ins Internet gestellt hat, wird damit Teil der biometrischen Datenbanken. Es hat nichts mehr mit Freiheit zu tun, wenn ich keine Webseite mit Bildern mehr betreiben kann, weil diese später von BKA/LKA/BND etc. für ihre Sammlungen und Fahndungen einkassiert werden.
Und genau das Gleiche gilt natürlich auch für Vorratsdatenspeicherung, die einige Grüne Landesverbände dann doch gerne haben wollen, oder auch die Chatkontrolle der EU mit der jede verschickte Nachricht in Europa geprüft und im Zweifelsfall an Behörden weitergeleitet werden soll – das faktische Ende der Privatsphäre. Selbstverständlich gibt es immer die Notwendigkeit, die Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung gegen Freiheitsrechte abzuwägen. Allerdings gib es einige rote Linien, die man in einem liberalen Rechtsstaat nicht überschreiten kann, ohne das man selbigen damit aufgibt.
Schließlich gehört zu all dem auch ganz banal, das Recht auf ein analoges Leben: Die Freiheit, dass man sein Leben auch vollständig ohne digitale Geräte oder Apps bewältigen kann.
Menschen müssen auch davor geschützt werden, aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt und benachteiligt zu werden, weil sie kein Smartphone nutzen oder nicht für jeden Quatsch eine zwielichtige App installieren wollen. (Digitalcourage e.V.)
Freiheit in der Praxis
Für Grüne ist es selbstverständlich, dass wir Fleisch der Haltungsform 1 nicht so wirklich gut finden und andere Haltungsformen oder vollständige Alternativen bevorzugen. Ebenso sehen wir uns auch in Verantwortung für zukünftige Generationen und den Erhalt einer lebenswerten Umwelt – wir schützen nicht das Klima sondern das Überleben der Menschheit. Wenn man das alles konsequent vor den oben angeführten Überlegungen zu Freiheit und Selbstbestimmung zu Ende denkt, muss man auch zu dem Schluss kommen, dass das im Digitalen genauso gilt. Als Grüne müssen wir uns auch dort für die Freiheit der Nutzer:innen einsetzen, genauso wie für die Freiheit der Bürger:innen gegenüber staatlicher und auch privater Überwachung. Ich bin froh, dass Robert Habeck in seiner Rede den zentralen Wert der Freiheit so deutlich betont hat. Das sollten wir auch als Auftrag verstehen.
Aufgabe für Grüne
Wenn man die Werte, die Robert Habeck in seiner Rede skizziert hat, ernst nimmt, muss man schon abwägen, welche Software man verwendet, in welchem Netzwerk man sich anmeldet und ganz grundsätzlich, welche digitale Zukunft man will. Alleine nur die bestehenden Monopole und Oligarchen zu regulieren und darauf zu hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird, reicht dabei nicht. Wenn man die digitale Zukunft in Freiheit und Selbstbestimmung gestalten will, sollte die deutsche und europäische Politik bei den Grundlagen ansetzen:
- Förderung europäischer und deutscher Open Source Entwickler und Firmen
- Public Money, Public Code
- Förderung europäischer und deutscher Chips (RISC-V vielleicht)
- Nutzung freier Netzwerke ohne werbegesteuerte Algorithmen
- Wahrung von Bürger- und Menschenrechten im digitalen Raum
Wohlgemerkt: Hier geht es darum, mit guten Beispielen und Förderungen voranzugehen, nicht um Verbote oder Einschränkungen. Jede:r soll natürlich alle noch so geschlossenen Tools und Geräte nutzen können – auch das ist Freiheit.
Nachdem es die Piraten faktisch nicht mehr gibt, sehe ich hier auch eine Lücke in der deutschen und europäischen Politiklandschaft, die all diese Themen nicht immer nur unterhalb von Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft einordnet. Eine digitale Politik, die ausgehend von Freiheit und Selbstbestimmung funktioniert.
Es wäre schön, wenn das alles bei den Grünen fest verankert wird und in der Mitte der Partei ankommt.